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Der Journalist als mutiger Aufklärer

September 2021. Wie mutig muss ein Journalist sein? Diese und weitere spannende Fragen diskutierten Ulrich Wickert und Journalist Wilhelm Klümper bei einem Gespräch in Hamburg, zu dem sie sich anlässlich der 10. Verleihung des Ulrich Wickert Preises für Kinderrechte trafen.

Wilhelm Klümper: Zehn Jahre „Ulrich Wickert Preis für Kinderrechte“. Warum noch ein Journalistenpreis? Es gab doch schon hunderte.

Ulrich Wickert: Es gab noch keinen für Kinderrechte. Wir stärken Autorinnen und Autoren in ihren Redaktionen, die dazu recherchieren. Wir haben ja auch den Preis International, der fast noch wichtiger ist als unser Preis Deutschland / Österreich. Denn die Preisträger erfahren dadurch Aufmerksamkeit in ihrem eigenen Land, es wird über sie groß in der heimischen Presse berichtet und dadurch gerät das Thema dort verstärkt in den Fokus. Unser Journalistenpreis selbst ist ja eigentlich ein Megaphon. Das heißt: Kommunizieren und sich Gehör verschaffen.

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Sind Sie mit der Resonanz auf den Preis zufrieden?

Die Resonanz ist enorm. Überdies werden von uns ausgezeichnete Stücke auch in einer ganzen Reihe von Regionalzeitungen veröffentlicht. Das sorgt für Breitenwirkung.

Hat sich in den vergangenen zehn Jahren etwas bei der Qualität verändert?

Die Qualität ist durchgängig hervorragend. Was es am besten deutschen Journalismus gibt, nimmt teil.

Gibt es eine Verbesserung bei der Durchsetzung von Kinderrechten?

Ich hoffe, dass wir hin und wieder sagen können, es gibt vor allem international Verbesserungen.

Wie bewerten Sie es, dass es für die Verankerung der Kinderrechte ins deutsche Grundgesetz in diesem Jahr keine politische Mehrheit gab?

Das ist schade, vor allem wegen der Mängel in der Rechtsprechung. Aber es gibt ja Menschenrechte und diese betreffen ja auch Kinder. Das Wichtige ist, dass wir das Grundgesetz bei Kindern richtig anwenden.

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Hat Journalismus überhaupt die Macht, gesellschaftliche und politische Verhältnisse zu verbessern?

Für mich bedeutet Journalismus Aufklärung. Das heißt, Informationen zu vermitteln, die auch positive Folgen haben. Wenn ich mir anschaue, wie stark die Ulrich Wickert Stiftung und Plan International unterstützt werden, dann ist das auch ein Ergebnis der Kommunikation durch die Medien.

Ex-Spiegel-Starjournalist Claas Relotius war 2018 mit einer frei erfundenen Geschichte Preisträger. Wie sehr hat Sie das geärgert?

Natürlich habe ich mich geärgert. Wir haben sofort den Preis aberkannt und er hat das Geld zurückgezahlt. Er ist nicht der Einzige, der solche Dinge gemacht hat. Das wissen wir. Auch Pulitzerpreise sind an Leute vergeben worden, die Geschichten erfunden haben.

Haben Relotius und Co. nicht einfach das erfunden, was ihre Chefs und Jurymitglieder lesen wollten? Schreiben für den Zeitgeist?

Schreiben für den Zeitgeist gibt es sicherlich. Es ist ein Problem, dass es unter Journalisten Lemminge gibt, die dem Herdentrieb folgen. Das erleben wir immer wieder bei Berichterstattung über Personen, wenn Wahlen anstehen. Plötzlich gefällt eine Person wie Schulz oder Baerbock, um sie dann niederzuschreiben. Das missfällt mir.

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Sexuelle Übergriffe in der Kölner Silvesternacht und antisemitische Demonstrationen wie beispielsweise jüngst in Gelsenkirchen. Warum sind viele Medien vor allem bei Problemen mit Migranten auffällig verdruckst?

Weil sie Angst haben, als Rassisten bezeichnet zu werden. Es gibt gewisse Dinge, an die man sich als Journalist aber auch als Bürger nicht so richtig herantraut. Also, wenn ich eine verschleierte Frau sehe, irritiert mich das. Wenn ich das en masse sehe, dann muss ich doch fragen dürfen, warum muss das sein?

Zeugt es nicht von einem merkwürdigen Erziehungs-Verhältnis zum Leser, Hörer, Zuschauer, wenn einige Themen nur mit spitzen Fingern angefasst werden?

Ich ärgere mich, wenn der Journalist schon für mich denkt. Ich möchte, dass der Journalist schreibt, was ist. In Deutschland glaubt der Journalist, er sei eigentlich ein Feuilletonist. Die Trennung von Fakten und Interpretation, wie beispielsweise in der New York Times, gehört sich eigentlich.

Liegt der Fehler in der Journalistenausbildung?

Wenn junge Leute zu mir kamen und mir sagten, ich will Journalist werden, dann habe ich denen stets gesagt, geht zu einer Lokalzeitung. Dort lernt ihr die faktische Beschreibung auch des Alltäglichen. Und auf die Frage, in welche Journalistenschule soll ich gehen, habe ich gesagt, in gar keine. Mein Rat: Studiert ein Fach, damit ihr Fachwissen habt. Daneben arbeitet, arbeitet, arbeitet, macht Praktika. Journalismus ist ein Handwerk.

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Wie mutig muss der Journalist sein?

Ja, der Journalist muss mutig sein. Nicht im Sinne von Ich-springe-aus-dem-Schützengraben, sondern mutig im Kopf. Ich muss den Mut haben, etwas zu sagen, auch wenn alle dagegen sind.

Der „Stern“ hat 2020 mit Aktivisten von Fridays for Future gemeinsam eine Ausgabe gestaltet. Ist das nicht missionarischer Haltungsjournalismus? Der Journalist als Aktivist?

Nein. Es ist alles ganz offen dargelegt worden, wie diese Zusammenarbeit zustande gekommen ist. Es ist auch die Aufgabe eines politischen Magazins, sich auf ein großes Thema zu konzentrieren.

Als Sie noch Mister Tagesthemen waren, hatten ARD, ZDF, die großen Tageszeitungen und Regionalmedien die Deutungshoheit über das politische und gesellschaftliche Geschehen. Erlebt der Journalismus durch das Internet und die sozialen Medien, wo alle zu allem ihre Meinung sagen können, einen Bedeutungsverlust?

Journalismus bleibt Journalismus. Viele, die keinen Journalismus machen, können das über das Netz verbreiten. Der Journalismus wird eigentlich immer wichtiger, denn er sortiert News von Fake News und gibt Orientierung im Meinungsdschungel.

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Sie haben bei der ARD gearbeitet, die sich wie das ZDF und der Deutschlandfunk derzeit in der Öffentlichkeit verstärkt legitimieren muss? Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Zukunft?

Ja. 80 Prozent der Zuschauer und Zuhörer haben jeden Tag Kontakt mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir sollten nicht in eine Situation kommen wie in den USA, wo Fox News das Verbreitungsmedium eines Präsidenten ist, der Lügen verbreitet. Dort gibt es leider keine öffentlich-rechtlichen Informationskanäle wie bei uns.

Brauchen wir denn ARD und ZDF oder können diese fusionieren?

Ja, wegen der Meinungsvielfalt brauchen wir beide. Ich finde es gut, dass in den Sendeanstalten der Dialog mit dem Hörer und Zuschauer ausgebaut wird. Die Moderatoren gehen verstärkt raus zu den Zuschauern, um mit ihnen zu sprechen.

Was wünschen Sie sich fürderhin für den Ulrich Wickert Preis?

Dass wir weiterhin so viele überzeugende Beiträge wie bisher bekommen.

Was wünschen Sie sich für den Journalismus?

Dass er von mehr Journalisten als auch Lesern, Hörern und Zuschauern vor allem als Aufklärung wahrgenommen wird. Das bedeutet, auch den Mut zu haben, selber nachzudenken. Kant sagte im Zusammenhang mit der Aufklärung, viele seien zu faul nachzudenken.

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Welches journalistische Stück möchten Sie unbedingt noch recherchiert wissen und lesen?

Darauf möchte ich ironisch antworten: Marx hat festgestellt, Gott gibt es nicht.

Gibt es eine Geschichte, die der Journalist Ulrich Wickert unbedingt noch selbst machen möchte?

Ich sitze gerade an einem neuen Kriminalroman. Ich habe noch viele andere Ideen, über die ich schreiben möchte. Ich muss 110 Jahre alt werden, um das umzusetzen. Und dabei würde ich vorher schon wieder neue Ideen haben.

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